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"Letzter Sonntag im November" (Jan Lipowski) (1/3) |
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Unruhig wälze ich mich im Bett umher. Ein unsteter Wind pfeift sein Lied in den kahlen Ästen alter Ulmen,
ein Waldkauz ruft. Abgestorbene Bäume knarren, Schwarzstörche klappern "tata-ta-ta-tat". Unheimliche Laute
verschiedenster Natur - dann wieder Momente der Stille. Wo bin ich denn nur? Na sicher genau dort, wo ich
mich herumwälze. Wie dem auch sei - ich drehe mich um und falle abermals in einen dämmrigen Halbschlaf...
...die Windgeräusche haben mittlerweile etwas nachgelassen, und mit dem Gesang eines Rotkehlchens umgibt mich
morgendliches Gezwitscher. Es raschelt. Zweige knacken und ein Reh wechselt scheu vorbei. Im Hintergrund geben
Blaumeisen ein zaghaftes Konzert "ti-ti-ti-tir", unweit wassern Stockenten. Ein Buntspecht klopft und meißelt
fleißig - die hölzern klingenden Trommelwirbel hallen durch den Wald, wieder und wieder, und schließlich klopft
es auch an der Tür. TÜR??
Ich schrecke auf und schaue zur Uhr, zumindest dorthin wo ich sie vermute. Das Bild wird langsam klarer - doch
ich sehe nur einen Zeiger! Wieder klopft es, Zilpzalp und Kohlmeise scheinen um die Wette zu singen... Was ist
hier los? Ich horche. - Stille... Nur eine Hummel brummt vorbei. Die Frequenz läßt auf ein besonders dickes
Exemplar schließen. Und die Uhr? Sie tickt leise. Komisch, warum ist da eigentlich bloß ein Zeiger? Ich lege
die Stirn in Falten, schärfe den Blick. Tatsächlich, es sind zwei Zeiger, sie überdecken sich knapp hinter der
Eins.
Verdammt, es ist also gleich viertel. Viertel Zwei! Es klopft wieder, aber ich will es nicht recht wahrhaben
und schließe in einer Art Kinderlogik die Augen: wenn ich nichts sehe, so sieht mich sicher auch niemand oder
verschwindet wieder.
Falsche Taktik! Weiterhin forderndes Klopfen, was sich nicht ignorieren läßt. Hartnäckigkeit und die Nähe
besagter Tür zum Bett wecken meine Lebensgeister. Zunächst die Bösen. Irgendwie rege ich mich innerlich auf,
und endlich rege ich mich auch äußerlich. Allerdings unwillig. Dann stehe ich jetzt eben auf! Aber langsam,
einen Augenblick lang halte ich mich noch an der Bettkante fest, bevor ich mich "hinabstoße". Ein wenig unsicher
stehe ich auf den Beinen. Was bin ich heute zerschlagen! Es klopft nun noch lauter an der Tür, ein
Stockentenweibchen warnt quäkend und so gehe ich zunächst zum Fenster, wo sich gurrend Ringeltauben drängen,
aber absolut nichts ist zu sehen. Langsam drehe ich den Kopf. Ganz allmählich - damit sich das heute nur
scheinbar knapp in den Schädel passende Hirn auch mitdrehen kann. Dort klopft es ebenfalls. Im Vorbeigehen
schalte ich den CD-Player aus und öffne endlich, bevor sie noch aus dem wackligen Schloß springt, die Zimmertür. (weiter...)
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aus "Paralleluniversale Geschichten" (J. Lipowski, M. Bornitz) |
Teil: [1] [2] [3] |
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